»Trierlogie«
Ausschnitt / Selection
Auflage 10 +1AP, Format: 50 x 70 | 75 cm, C-Print, Aludibond, zertifiziert, nummeriert, signiert,
Auflage 4 + 1AP, Format: 100 x 140 cm, C-Print, Aludibond, zertifiziert, nummeriert, signiert
Notiz Februar 2007:
“Mein erster Ansatz der Serie liegt in der Nacht. Es regnet in Strömen. Ich parke das Auto und blicke durch die regennasse Scheibe auf den erleuchteten Eingangsbereich eines Kinos. Ich nehme die Kamera aus der Tasche, aber bevor ich auslöse, wird mir klar, dass ich dieses Bild schon gesehen habe. Ich verlasse das Auto und mache mich auf den Weg in die Innenstadt. An der Fußgängerunterführung angekommen, sehe ich, wie das Wasser seitlich an den Treppen herunter läuft. Ich folge dem Lauf des Wassers nach unten in die Unterführung. Auf dem Boden sammelt sich das Regenwasser, es riecht nach Urin und die Wände sind voller Graffiti. Der Aufgang, den ich früher benutzt hatte, um in die Parkanlage zwischen den zwei großen Alleen zu gelangen, ist mit einer Bretterwand verschlossen. Ich begebe mich auf die andere Seite des unterirdischen Sees. In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich mich mitten im ersten Motiv meiner Trier-Serie befinde.”
[…]
Eine zweite Erzählebene in »Trierlogie« öffnen Zitate aus einem Interview von 1970 mit meiner Urgroßmutter Bertha Zirvas. In diesem Interview berichtet sie aus ihrem Leben in Trier ab dem Jahre 1910 an. Die Auswahl der Textstellen umschließen hauptsächlich ihre Erzählungen über die Zeiten der ersten beiden Weltkriege in Trier. Die sichtbaren Kriegsentwicklungen, die ersten Kriegsjahre, die Zwangsevakuierung durch die Nazis im März 1945, die Rückkehr in ein befreites, durch die Kämpfe der letzten Kriegstage stark zerstörtes Trier, die Folgen des Krieges, das Warten auf die Angehörigen in Gefangenschaft und das Nachkriegsleben. Ich habe bewusst die Textzeilen aus dem Interview mit meiner Urgroßmutter Bertha Zirvas ausgewählt, die eine Zeit in Trier beschreiben, die dem heutigen Stadtleben fern zu sein scheint. Die Krisen- und Kriegsgebiete haben sich in andere Länder verschoben. Die heutige weltpolitische Entwicklung weist mehr kriegerische Auseinandersetzung als zur Zeit des 2. Weltkrieges auf. Als wären die Rückschlüsse, die aus den Folgen der beiden Weltkriege gezogen wurden und die Erkenntnisse daraus, wieder vergessen worden.
[ … ] “Nach zwei Tagen bekamen wir durch einen Bekannten die Nachricht wir sollten sofort nach Trier kommen, Klara wäre in Gefahr. Mein Mann ich ich nahmen unser Fahrrad, banden unsere kleinen Habseligkeiten, die wir mitgenommen hatten, an das Fahrrad und gingen von Dhron bis nach Trier. Zwei Tage brauchten wir dazu. Es war in der Karwoche 1945. Wir kamen an die “alte Brücke” auf Gründonnerstag. Die Posten sagten vor Ostern wird niemand mehr in die Stadt Trier eingelassen. Wir stellten unser Fahrrad in eine Ecke. Ich sehe es heute noch vor mir: ein Spazierstock mit dem Silbergriffel, einen Schirm und denn einen Sack mit den Kleinigkeiten was wir noch hatten. Auf einmal wurde es dann bekannt, es fährt noch ein Transport nach Trier. Mein Mann und ich setzten uns in den Lastwagen und wurden von den Amerikaner registriert.”
alte Brücke | Römerbrücke ©
“Im Herbst ’46, da kam Bernhard aus Gefangenschaft zurück. Er sah schrecklich aus. Und er erzählte dann, dass er in französischer Gefangenschaft einen Leutnant kennengelernt hatte, der uns in Dhron erlebt hatte, wie wir in der großen Not eine Unterkunft in einem Weinkeller gefunden haben. Bernhard war glücklich, nun wusste er, dass wir noch am Leben waren. Zur Zeit, als ich zur Kur in Wiesbaden war, war Bernhard als Chauffeur bei den Amerikanern und so konnte er mir hier und da etwas Kaffee oder sonst etwas besorgen, denn die Verpflegung im Wiesbadener Sanatorium war denkbar schlecht. Auch in Trier war es mit der Verpflegung nicht besser geworden. Man hisste in Trier sogar die schwarze Fahne.”
“An einem Novembertag, wie jede Woche einmal, kamen aus dem Radio die Namen wer aus Gefangenschaft entlassen würde. Ich saß am Radio und hörte: Fritz Reuter, geboren 13.Oktober 1908 in Saarbrücken. Nun war unsere Freude groß. Agnes ging zur Bahn um Fritz abzuholen. Er kam mit einem alten abgerissenen Mantel, an den Füßen Schuhe, die man nicht als Schuhe bezeichnen konnte, mit kurz geschnittenen Haaren. Er saß dann im Zimmer, wir holten die Kinder. Anne war im Kindergarten und Ursel und Hans-Jörg schon in der Schule. Hans-Jörg kam dann und sagte, ja das ist mein Vater. Ursel und Anne standen da und betrachteten ihn nur. Wir sagten dann: „Nun gebt dem Vater dann einen Kuss.“, da sagte Ursel: „Wir müssen ihn erst mal waschen und schön anziehen“. Agnes ging aber hin und gab ihm einen Kuss. Ich saß dabei und vergoss Tränen. […] “.
Bertha Zirvas 1888 – 1974, Das Interview wurde 1970 von Ursula Reuter Christiansen geführt. Toaufzeichnung von Henning Christiansen.
Link: Soundcloud Interviewausschnitt Bertha Zirvas